Stöttner kam 2003 in den Landtag und war gleich gebannt von der Würde des aus Eichenholz gezimmerten Inventars. Der Saal mit seinen knarzenden Dielen habe „Geschichte geatmet“, schildert er seine ersten Eindrücke, am Rednerpult und auf den Bänken habe man „den Schweiß ganzer Parlamentariergenerationen“ gespürt. „Das darf man doch nicht einfach wegschmeißen“, habe er dem damaligen Landtagspräsidenten Alois Glück (CSU) gesagt. Doch der habe abgewunken. Stöttner ließ nicht locker, bis er schließlich gegen eine Spende an ein Kinderhospiz Eigentümer des alten Plenarsaals wurde. Mit Verwandten und Freunden von der Feuerwehr baute er Tische, Sitze und Regierungsbänke aus und lagerte sie in der Scheune eines Cousins bei Rosenheim ein.
Heute steht ein kleiner Teil davon prominent im Regensburger Haus der Bayerischen Geschichte, der Rest wartet auf eine weitere Verwendung. Stöttner schwebt vor, damit eine Kneipe in Landtagsnähe zu bestücken. Mit Bühne für Kabarett und Kultur, als Treffpunkt für Abgeordnete, Medienschaffende und Bürger*innen sowie zum Reden und Politisieren. Noch sei alles Wunsch und Theorie, „aber irgendwann werde ich das verwirklichen“, verspricht Stöttner. Als MdL a. D. werde er ab kommendem Herbst ja Zeit haben für unerledigte Projekte.
Wenn man sich mit Stöttner eine Zeit lang unterhält, schwinden die Zweifel, dass die Kneipe „Zum alten Plenarsaal“ ein Hirngespinst bleiben wird. Gefühlt ein Dutzend Mal berichtet er davon, was er alles angestoßen, ausgetüftelt, durchgesetzt und vorangebracht hat in seinen bald 20 Jahren als Abgeordneter. Geerbt habe er das Macher-Gen wohl von seinem Vater. „Wenn die Tür aufgeht, musst du die Aufgabe erledigen“, habe der ihm mitgegeben. Und bei Stöttner gehen ständig Türen auf. Er habe deshalb keinen Achtstundentag, sondern eine 80-Stunden-Woche. Egal ob im Landtag oder im Stimmkreis – Stöttner hetzt von einem Termin zum anderen.
Auf diese Weise wurde er Präsident des Tourismus-Verbands Oberbayern, Chef des Kuratoriums Alpine Sicherheit, Vorsitzender des Kuratoriums der Hochschule Rosenheim und Mitglied zweier Handvoll weiterer Gremien. Er hat ein zweites digitales Gründerzentrum für Oberbayern nach Rosenheim geholt und ist Namensgeber des Begriffs „Stellwerk 18“. Er hat im Verbund mit den örtlichen Kommunen „Rosi“ ins Leben gerufen, die Rosenheimer Shuttle Initiative als kostengünstige Ruftaxi-Ergänzung zum regulären Busverkehr. Er zieht mit seinen politischen Kontakten neue Lehrstühle und Fakultäten für die Hochschule Rosenheim an Land und hat in beharrlicher Überzeugungsarbeit für die Absenkung der Mehrwertsteuer für Seilbahnen sowie deren staatliche Investitionsförderung gesorgt.
Lieber eine eigene Kneipe, als noch mal in den Landtag
Das sind nur einige der „Babys, die ich auf den Weg gebracht habe“, wie Stöttner nicht ohne Stolz verkündet – ohne dabei zu vergessen, auf Mitstreiter*innen und „andere Väter“ zu verweisen. Sein Alltag bestehe darin, Ideen zu haben, Dinge anzustoßen, dicke Bretter zu bohren und mit den richtigen Leuten zu reden.
Begonnen hat er damit schon mit 13 Jahren. Damals kam Stöttner zur katholischen Landjugend, wo er sein Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen entdeckt habe. Über die ehrenamtliche Jugendarbeit sei er als 16-Jähriger in die Junge Union gekommen. Als deren Rosenheimer Kreisvorsitzender schob Stöttner zwischen 1996 und 1999 die Gründung 13 neuer Ortsverbände an. Seit 2002 führt er die CSU im Rosenheimer Land, den – so viel augenzwinkernder Superlativ muss sein – mit mehr als 4000 Mitgliedern „größten CSU-Kreisverband der Welt“.
Im Landtag hat sich Stöttner als Tourismus-Politiker einen Namen gemacht. Von seinem Stimmkreisvorgänger Adolf Dinglreiter habe er seinerzeit den Rat bekommen: „Such dir ein Thema und häng dich rein!“ Weil er als Neuling 2003 den von ihm favorisierten Posten als energiepolitischer Sprecher der CSU-Fraktion aber nicht bekommen habe, sei die Wahl auf den Tourismus gefallen. Fast durchgängig sitzt Stöttner seither im Wirtschaftsausschuss, derzeit gehört er auch noch dem Bau- und Verkehrsausschuss an. Dort bohrt er unter anderem am dicken Brett eines anwohnerfreundlichen Schienenzulaufs zum Brenner-Basistunnel mit, der quer durch seinen Stimmkreis führt.
Bei all dem wirkt Stöttner immer fröhlich und aufgeräumt, herzlich und gewinnend. Auf die Frage, ob es ihn auch nachdenklich und schlecht gelaunt gebe, entsteht im Gespräch zum ersten Mal eine kurze Pause. Dann sagt Stöttner: „Ja, aber nicht in der Öffentlichkeit.“ Es wolle doch niemand hören, wenn es einem mal schlecht gehe. Negatives sorge für eine ungute Gesprächsatmosphäre. „Es macht Türen auf, wenn man nicht so grantig daherkommt“, lautet eine seiner Lebenserfahrungen. Mit einem positiven Auftreten erreiche man am Ende für alle mehr.
Und dann gewährt Stöttner einen kurzen Blick hinter die Fassade eines erfüllten, aber auch vollen Abgeordnetenlebens. In einer eng durchgetakteten Woche habe er wenig Zeit zum Überlegen. Außerdem falle es schwer, Freundschaften zu pflegen und immer für die Familie da zu sein. Auch deshalb höre er 2023 als Abgeordneter auf.
Als Motto für die Zeit danach habe er sich „Weniger ist mehr“ vorgenommen. Stück für Stück wolle er sich aus Politik und Ehrenämtern zurückziehen, nur noch mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn er gefragt werde. Beruflich hat Stöttner noch keine konkreten Pläne. Der gelernte Bankfachwirt könnte sich aber vorstellen, wieder in die Priener Versicherungsagentur einzusteigen, bei der er Gesellschafter und Teilhaber ist. Interessieren würde ihn auch die Entwicklung inklusiver Wohnprojekte. Und dann ist da ja noch die Sache mit der Kneipe und dem alten Plenarsaal. (Jürgen Umlauft)